Arnold Weijel,
geboren am 2. November 1923 in Amsterdam
Amsterdam, #30 Zacharias Jansestraat 30
Arnold Weijel wuchs in einer vierköpfigen Familie auf. Er hatte einen Bruder – Jacques Albert, der vier Jahre älter war als er. Sein Vater Hermann war Einkäufer beim Textilgroßhandel S.I. de Vries in Amsterdam und stammte ursprünglich aus Twente in der niederländischen Provinz Overijssel. Seine Mutter Sarah kam aus einer Amsterdamer Diamantenhändler-Familie. Arnold war als Kind an eine Reihe typisch jüdischer Traditionen gewöhnt, aber die Familie war ansonsten nicht gläubig und lebte völlig assimiliert. Familie Weijel hatte ein deutsches Dienstmädchen, Marie.
Ich wurde 1923 geboren und im selben Jahr war die große Hungersnot in Deutschland, nach dem Ersten Weltkrieg. Damals fingen viele deutsche Mädchen an, in niederländischen Haushalten zu arbeiten. Meine Mutter und ihre beiden Schwestern hatten jeweils ein deutsches Dienstmädchen.
Maries Vater, der regelmäßig in die Niederlande kam, war ein scharfer Nazi-Gegner, der ständig vor dem Ernst der Lage warnte:
‘Hören Sie, Sie müssen gehen, es ist ganz schlimm, das wird das Ende’. Er hat uns eindringlich gewarnt: ‘Sie müssen einfach fliehen, egal wohin.’
Der englische Konsul hatte der Familie Weijel noch kurz vor Ausbruch des Krieges angeboten, zusammen mit ihm und dem englischen diplomatischen Personal nach England zu fliehen.
Aber sie taten es nicht, sie waren sich nicht einig. Arnolds Vater wollte das Unternehmen nicht im Stich lassen, Arnolds Mutter wollte weg. Als sie später doch noch über Ijmuiden zu fliehen versuchten, war es zu spät.
Durch die Einführung der Maßnahmen gegen die Juden wurde die Atmosphäre immer grimmiger. Familie Weijel hatte jedoch guten Kontakt zu den direkten Nachbarn. Obwohl Juden und Nicht-Juden sich schon lange nicht mehr gegenseitig besuchen durften, kamen manche Nachbarn doch noch zu ihnen. Familie Wouters, aus streng evangelisch-reformiertem, calvinistischem Hause bot ihnen die Möglichkeit unterzutauchen.
Meine Mutter war sofort dafür, aber mein Vater meinte: Ach nein, warten wir es erst noch eine Weile ab. Seither hasse ich das Wort ‘abwarten’. Bei der razzia am 20. Juni 1943 wurden wir so ziemlich als letzte in Amsterdam aus unserem Haus geholt.
Familie Weijel wurde über die Polizeiwache zur Hollandsche Schouwburg der holländischen Schaubühne in Amsterdam gebracht, von wo aus Juden deportiert wurden. Mithilfe einer Reihe von Kameraden des Judenrats, gelang es Familie Weijel jedoch zu entkommen.
Es war ein Chaos. Man saß da in einem Saal, glaube ich, und auf der Bühne. Und die Jungs vom Judenrat hatten Kontakt zur Widerstandsbewegung und schmuggelten abends Leute zur gegenüberliegenden Kinderkrippe (Crèche). Mein Vater war der Chef von ein paar Eltern dieser Jungs und die sagten: „Weijel wurde verhaftet." Da haben sie dafür gesorgt, dass wir entkommen konnten. Die Wächter von der SS waren oft betrunken und dann redeten die Jungs mit ihnen und stellten sich vor den Schalter. So konnten wir unter dem Schalter durchkriechen, liefen zur Kinderkrippe und wurden dort auf dem Speicher versteckt.
Amsterdam, #32 Zacharias Jansestraat 30
Am nächsten Tag tauchte Arnold mit seinen Eltern bei Familie Wouters - Nachbarn, die über ihren Nachbarn wohnten - unter. Sie wurden in die Familie aufgenommen, konnten aber nicht nach draußen und mussten den ganzen Tag still sein.
Ich habe vom ersten Tag an Tagebuch geschrieben. Ich tippte. Und unser Dienstmädchen, Marie, kam immer vorbei. Sie brachte ‘Die Deutsche Zeitung in den Niederlanden’ mit. Sie arbeitete im Stab der Luftwaffe am Overtoom in Amsterdam und war neben der Wiederstandsbewegung die einzige, die wusste, wo wir uns aufhielten.
Ein paar Söhne der Familie Wouters waren in der Provinz untergetaucht. Sie wurden für den Arbeitseinsatz gesucht. Eines abends fand eine Hausdurchsuchung statt. Familie Weijel versteckte sich im Zwischenraum zwischen der Zimmerdecke und den Schrankwänden. Sie hörten, wie die Soldaten ihnen buchstäblich auf dem Kopf herumtrampelten. Eines Tages konnte Familie Weijel vom Fenster aus beobachten, wie ihre eigene Wohnung leergeräumt wurde.
Ich stand hinterm Vorhang und schaute nach unten, denn wir waren weit oben. Aus dem ersten Stock verschwand mein Bett, der Schreibtisch meines Bruders, mein Schreibtisch, der Wäscheschrank und Antiquitäten. Pulsen hieß das, da die Firma Puls das machte.
Als es keine Elektrizität mehr gab, wurde mithilfe eines auf einem Ständer stehenden Fahrrads ein Dynamo angetrieben. Hiermit wurde ein kleines bisschen Strom generiert. Gerade genug für 1 Watt Licht. Während des Hungerwinters kam Marie jede Woche mit Essen, an das sie als Reichsdeutsche kommen konnte. Manchmal waren sogar Steaks dabei. Den Hungerwinter erlebten die Niederländer am Ende des Krieges im Winter 1944/45. Damals verhungerten und erfroren aufgrund der durch den Krieg entstandenen Mängel circa 20.000 Niederländer. Vor allem in den großen Städten gab es viele Opfer. Die deutschen Soldaten blockierten in dieser Zeit alle Nahrungsmittel- und Brennstofftransporte in den Westen des Landes als Repressalie für die Luftlandung bei Arnheim.
Nachdem wir von den Alliierten befreit worden waren, liefen wir alle zusammen die Treppen hinunter. Familie Wouters hatte die Leute aus der Straße zusammenkommen lassen, und dann kamen wir nach unten. Es stand eine ganze Gruppe neugieriger Leute da, die äußerst überrascht waren, als wir nach draußen kamen. Selbst die Nachbarn, die unter uns wohnten und unsere Gemälde für uns aufbewahrt hatten, wussten nicht, dass man uns die ganze Zeit dort versteckt hatte.