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Ein Stadtfräulein

Puck (Sara) Aronson Gobitz, geboren am 17. Oktober 1928 in Amsterdam

Vrijheidslaan, Amsterdam-Zuid

Puck Aronson wurde 1928 in der Eerste Oosterparkstraat in Amsterdam als Sara Gobitz geboren. Sie war ein Einzelkind. Saras Vater war Verkäufer und ihre Mutter half ihm im Geschäft. Bei ihr zu Hause spielte das Judentum keine große Rolle. »Das einzige war, dass mein Großvater am Sabbat immer von seinem Haus am Hoogte Kadijk zu uns spazierte.«
Bevor der Krieg ausbrach, bemerkte Sara den zunehmenden Antisemitismus kaum. »Außer auf der Grundschule. Ich ging am Meerhuizenplein zur Schule, zusammen mit ziemlich vielen jüdischen Kindern. Selbst die klügsten jüdischen Kinder wurden weit unter ihrem Niveau bewertet. Ich musste auf die Hauswirtschaftsschule, was überhaupt nicht passte.«

Als der Krieg ausbrach, wohnte Sara in der Amstellaan, der heutigen Vrijheidslaan in Amsterdam-Süd. »Ich ging auf der Straße. Die Leute standen in Reihen, um zuzuschauen. Dann marschierten die Deutschen an, über die Berlagebrug. Viele Amsterdamer riefen begeistert: ›Sieg Heil!‹. Was ist denn hier los, dachte ich.«

Trompenburgstraat 143 III, Amsterdam

Kurz nach Kriegsbeginn wurde Saras Vater in ein Arbeitslager geschickt, angeblich, um die Familie zu »verschonen«. Ein Trick. Sie bekamen noch ein paar Postkarten.

Amsterdam-West

Ein Verwandter von Saras Mutter, Max Silas, gehörte zum Widerstand. Er drängte ihre Mutter, eine Untertauchadresse für Sara zu finden. »Ich bin bei einer alten Dame in Amsterdam-West gelandet. Ich hatte einen kleinen Koffer dabei, eine Tasche und ein großes Notizbuch. Ich begann dort ein Tagebuch zu führen.«
Bei der alten Dame war auch eine jüdische Familie untergetaucht: Vater, Mutter und eine ältere Tochter. Sie waren Flüchtlinge aus Deutschland und sprachen nur schlecht Niederländisch. »Diese alte Dame hatte zwei Söhne. Einer war in Ordnung, der andere Mitglied der NSB. Der gute Sohn brachte uns Brot, doch wenn es klingelte, konnte auch der NSB-Bruder vor der Tür stehen. Dann musste ich sofort im Zimmer der anderen Untergetauchten verschwinden. Wir durften nichts: nicht bewegen, nicht husten, nicht zur Toilette. Die Luft anhalten, das mussten wir.« Nach einigen Monaten konnte die alte Dame die Spannung nicht mehr ertragen und die Untergetauchten mussten gehen.

Geldrop

Sara wohnte eine Weile zu Hause und tauchte dann für einen Monat über einer Metzgerei in Geldrop unter. »Der Gestank von Fleisch und Panhas (Balkenbrij) drang durch den Boden nach oben. Diesen Geruch konnte ich nie wieder ertragen«

Keizersgracht 484 Amsterdam

Einige Wochen lang wohnte Sara auch bei der Widerstandskämpferin Hester van Lennep an der Prinsengracht. Dort versteckten sich viele junge Studenten, die sich weigerten, sich bei der Kulturkammer einzuschreiben. »Ich durfte den Studenten Kaffee und Tee bringen. Das fand ich unglaublich spannend!« Als Saras Mutter krank wurde, musste sie zurück nach Hause, um sie zu pflegen.

Drachtstercompagnie

Kurze Zeit später suchte Max Silas wieder einen neuen Platz für sie. Ihre Mutter brachte Sara weg. »›Da vorne steht eine Dame mit einer Zeitung unter dem Arm‹, sagte meine Mutter. ›Da gehen wir hin, du bleibst stehen und ich gehe weiter. Sie bringt dich an einen Ort, an dem es dir gut gehen wird.‹ Das war das Letzte, was meine Mutter zu mir sagte.«

Sara kam nach Drachtstercompagnie zu Gelkje van Koten, einer ehemaligen Lehrerin.
»Sie fand, dass ich ein Stadtfräulein sei. An jenem Nachmittag kamen wir um rund 15 Uhr bei ihr zu Hause an. Sie hatte Buttermilchbrei mit Sirup gemacht. Das kannte ich nicht. Er schmeckte sauer. Ich fand diesen Brei scheußlich. Und das sagte ich auch. ›Es bringt mich zum Würgen.‹
›Diese Stadtmanieren brauchen wir hier nicht. Iss. Stell dich nicht so an, du bekommst nichts anderes.‹ Und so war es auch. Zwei Tage lang bekam ich nichts anderes zu essen. Als sie sah, dass ich es wirklich nicht essen konnte, nahm sie es weg.«
Ein paar Tage nach ihrer Ankunft in Drachtstercompagnie bekam Puck einen neuen Personalausweis. Von da an hieß sie Corrie Winter.

Alle zwei oder drei Monate brachte eine Frau vom Widerstand Lebensmittelkarten. Im Dezember 43 brachte sie auch einen Brief von Saras Mutter mit, den sie ihr von der Hollandsche Schouwburg aus geschrieben hatte. Meine Mutter schrieb, dass sie vorübergehend nicht in Amsterdam sei. ›Aber wenn der Krieg wieder vorbei ist, hoffe ich, dass du mir diese Kette, die ich dir in den Umschlag lege, wieder zurückgeben kannst.‹ Die Kette, mit Diamant, lag nicht mehr im Umschlag. Sie war weg.« Sara versteckt den Brief unter dem Treppenteppich. Als aber wenig später die Treppe gereinigt und der Teppich mitsamt den Stangen entfernt wurde, kam der Brief zum Vorschein. Er musste vernichtet werden. Die Gefahr, verraten zu werden, war zu groß.
»Was ist das?«, fragte das Fräulein. Ich begann zu weinen. Ich wusste nicht, dass es ein Abschiedsbrief war, aber so fühlte es sich an.
Es war schrecklich und ich finde es bis heute schrecklich.«
Jeden Tag fuhr Sara mit dem Fahrrad nach Drachten. Einmal fuhr ihr der Besitzer der einzigen Kneipe in Drachtstercompagnie mit dem Fahrrad hinterher. »›Ja, Corrie‹, sagte er, ›wir wissen schon, dass du eine kleine Jüdin bist.‹ ›Oh, dann weißt du mehr als ich.‹ Den ganzen Weg zur Schule hörte er nicht auf damit. Also erzählte ich ihm die Geschichte meiner Eltern, denen das Sorgerecht entzogen worden war, da sie nicht imstande waren, mich zu erziehen.«

Drachtstercompagnie, na de bevrijding

Am 14. April 1945 wurde Drachtstercompagnie von den Kanadiern befreit. Nach der Befreiung stellte sich heraus, dass in Drachtstercompagnie noch viele andere Menschen untergetaucht waren.
»Am Tag der Befreiung klingelte es bei uns an der Tür. ›Corrie‹, sagte das Fräulein, ›gehst du zur Tür, bitte?‹. An der Tür stand ein Mädchen, das ich schon seit Jahren jeden Sonntag in die Kirche hatte gehen sehen. Sie sagte: ›Ich glaube, wir sind miteinander verwandt.‹
›Das glaube ich auch‹, sagte ich. Wir fühlten uns verwandt, ohne es wirklich zu sein.
›Wer bist du?‹, fragte ich.
›Jettie de Groot‹, antwortete sie. ›Aus Almelo.‹
›Ich bin Sara Gobitz‹, sagte ich. ›Aus Amsterdam.‹ Zum ersten Mal konnte ich wieder meinen eigenen Namen sagen. Ich bin Sara Gobitz – das war ein befreiendes Gefühl.«
Mindestens fünf Jahre lang suchte Sara nach ihren Eltern. »Ich dachte, sie wären in einem Straflager gelandet und hätten den Weg zurück nicht mehr gefunden. Ich musterte die Fahrgäste an den Bahnhöfen ganz genau. Meine Mutter würde mich bestimmt nicht wiedererkennen.«